15. Februar 2012

Abchasien : von Zugdidi nach Sochi (277 km)

Die Etappen durch Abchasien



Freitag, 9. September                                          Zugdidi - Ochamchire - Suchum           115 km
bei Gagra
Ich starte heute extra früh und bin bereits vor 8 Uhr wieder am georgischen Grenzposten. Hier erklärt mir der Offizier ausführlich, dass ich mit einem Stempel des Grenzübergangs nach Russland bei einer Rückkehr über diese Inguri-Übergang ins Gefängnis kommen werde oder 2‘000 Euro Busse bezahlen müsse, denn damit würde ich die „russische Besetzung georgischen Territoriums“ anerkennen, was in Georgien strafbar sei. Ich versichere ihm, dass ich vorerst nur Suchumi besuchen werde um dann vielleicht mit dem Schiff nach Sotchi oder Noworossijsk weiter zu reisen. Auf der abchasischen Seite kommt mir der Typ vom Vortag schon lachend entgegen und verlangt gleich wieder den Hundeschreck. Damit scheucht er wieder jeden Hund in Reichweite auf, bis schließlich die Batterie zu Ende ist und er damit nichts mehr anfangen kann.  Unterdessen warte ich im Zwischenraum unter den Augen eines freundlichen gelangweilten Soldaten geduldig auf die  telefonische Zustimmung  zur Weiterreise, aber die Beamten in Suchumi sind offenbar noch nicht an der Arbeit. Also könnte ich ja meine Eindrücke wenigstens aufschreiben; aber kaum habe ich mit Schreiben begonnen, springt  der dicke Typ zu mir und will wissen, in welcher Sprache ich da schreibe. „Deutsch?“, ah ja, er könne deutsch. Er reißt mir das Notizbüchlein aus der Hand, blättert tiefsinnig darin als ob er lesen würde und fordert mich dann auf, das zuletzt Geschriebene auf russisch zu übersetzen. Ich fasle  etwas vom gestrigen Museumsbesuch in Zugdidi, was ihn ziemlich bald langweilt. Mit deutlichem Hinweis auf zwei Überwachungskameras verbietet er mir  irgendwelche Tätigkeit an diesem Ort. So kann ich nur warten und zuschauen, wie ein ständig rauchender Kerl mit dunkler Sonnenbrille, Kämpferhosen und über dem prallen Bauch gespanntem T-Shirt  mit Kollegen herumalbert, Untergebene herumkommandiert und die am Tor wartenden Menschen anschnauzt, wenn sie nicht rechtzeitig und nur zu zweit zur Ausweiskontrolle vortreten. Nach einer Stunde kommt endlich der freundliche Beamte wieder und überreicht mir kommentarlos den Pass: ich kann weiter fahren.
Auf der Straße durch lichten Wald und verwilderte Felder hindurch bricht der Belag auseinander, und das Fahren braucht große Aufmerksamkeit. Aber es ist wenigstens weiterhin flach. Beim Bezirkshauptort Gali ist kaum zu erkennen, welche der  zerfallenden Straßen in den Ort hinein und welche nur in einen Hinterhof führt. Erst als wieder nur Felder folgen, merke ich, dass ich am eigentlichen Ort schon vorbei bin. Dafür ist jetzt die Straße sehr gut, mit einem neuen Asphaltbelag. Eine blaue Tafel am Straßenrand zeigt, dass diese Straße durch die UNOMIG, also die Beobachter-Mission der UNO für Georgien vor 4 Jahren instand gestellt wurde. Im Gegensatz zur EU können sich die UNO-Organisationen überall frei bewegen und stellen mit ihren vor allem russischen (kaum wirklich neutralen) Einheiten den Waffenstillstand sicher. UNHCR und Rotes Kreuz kümmern sich vor um die zehntausende von Flüchtlingen und die in dieser östlichsten Provinz verbliebenen Mingrelen, die hier wie im angrenzenden georgischen Gebiet seit alters her die Mehrheitsbevölkerung bildeten. Immer wieder tauchen am Straßenrand Reste von einst wohl prächtigen Häusern und kleinen Fabriken auf, vielfach schon von dichtem Grün überwachsen. Dazwischen ab und zu Kühe, Pferde, Ziegen und Schafe, die sich selbst überlassen scheinen. Nach 50 km nehme ich die Abzweigung nach Ochamchire, um wieder einmal ans Meer zu gelangen. Hier bestehen ganze Quartiere nur noch aus verrostetem Eisen und Mauerresten. An einzelnen Häusern wurde der Wiederaufbau offenbar begonnen, vermutlich aber wegen fehlendem Kapital in Eigenleistung nur sehr schleppend weitergeführt.  Am zerfallenden Quai mache ich zwischen bunten zerbrochenen Phantasie-Figuren Mittagspause. Nach kurzer Weiterfahrt muss ich in der erdrückenden Mittagshitze in einem Bushäuschen trotzdem noch eine halbstündige Siesta einschalten. Immer wieder mal sehe ich am Straßenrand ein zerfallenes altes Denkmal aus georgischer Vergangenheit oder ein neueres Denkmal mit dem abchasischen Wappen, das an die (abchasischen) Opfer des Krieges erinnert. Nach dem Übergang über den breiten Kodori kündigt sich die Hauptstadt Suchumi erstmals mit dem Wegweiser zum Flugplatz an. Die Hänge des Kaukasus rücken allmählich näher, am Horizont werden weiße Kuppen sichtbar. Die Dörfer mehren sich, und gegen 17 Uhr  komme ich nach 110 km in Suchum (nicht Suchumi, das ist georgisch!) oder Aqwa, wie die Hauptstadt auf abchasisch heißt, an.
Ankunft in der Hauptsatdt
Mit kurzem Umweg durchs Zentrum finde ich auch das von Lonely Planet empfohlene Homestay. Vor dem Gang ins Außenministerium zum Abholen des für die Wiederausreise benötigten Visums muss ich mich aber nach dringender Empfehlung der Wirtin umziehen, da ich in meiner Velobekleidung kaum eingelassen würde. Also blitzartig umziehen und wieder aufs Velo. Um 17Uhr 20 stehe ich vor dem Gebäude, dessen Büros laut Wirtin bis halb 6 geöffnet sein sollten. Aber oha, im Empfang erklärt mir der Wachhabende dass alles geschlossen sei und erst montags um 8 Uhr wieder etwas zu haben sei. Verdammt, es ist ja Freitag, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht; also kann ich erst am Montag weiterreisen? Da ich am Sonntag aber ohnehin einen Ausflug zum Ritsa-See geplant habe, beschließe ich, trotzdem am Samstag bis Gagra zu fahren und von dort am Montagmorgen irgendwie kurz nach Suchum zurückzukehren, um dann das Visum zu beschaffen. Ich kehre nach kurzer Rundfahrt in meine angenehme Unterkunft zurück, erledige die üblichen Abendgeschäfte, operiere in einer einstündigen Aktion das im Rahmen festhockende Geld mit geringem Schaden wieder heraus und beschließe den Tag in einem nahen Gartenrestaurant  bei lauter Musik  zwischen Festgesellschaften und einer kräftigen Mamaliga (Maisbrei) mit feinem Brot, Tomaten-Gurken-Salat und kühlem Bier (150 Rubel, ca. 4 Franken)


Samstag, 10. September                                    Suchum - Gudauta - Gagra         92 km
Nachts hat es stark geregnet, aber um 8 Uhr


Suchum: National-Theater

morgens scheint schon wieder die Sonne und es ist schon 25 Grad.  Ich besichtige zuerst die Stadt. Hier sind vom Krieg nur noch wenige Ruinen sichtbar. Im Zentrum sind hinter den gepflegten Uferpromenaden mit Palmen viele Gebäude schön restauriert  Der Sitz des Präsidenten wirkt neben Hotelneubauten, Theater und Opernhaus fast bescheiden. Nur  die bröckelnde Landungsbrücke und das riesige ehemalige Restaurant in Form eines großen Schiffes  wirken trotz mächtiger abchasischer Flagge trostlos. Ein besonderes Bijou ist der prächtige botanische Garten, ein Anziehungspunkt auch für die vielen russischen Touristen, für die Abchasien nach wie vor zu den beliebten Ferienzielen gehört und die so auch
eine der wichtigsten Einnahmequelle für die international kaum anerkannte Republik darstellen.
Um 13 Uhr starte ich wieder beim Guesthouse und durchquere die Stadt nochmals über den riesigen Markt mit seinen von Autos verstopften Straßen Richtung Westen. Wegweiser hat es nirgends, aber ich verlasse mich aufs Gefühl und lande damit nach  einigen Kilometern schließlich auf einer sich im Gebüsch verlierenden Schotterstraße. Eine etwas bessere Straße zweigt unter der Eisenbahnlinie bergwärts ab. Die gehe nach Gagra, meinem nächsten Ziel, erklären mir einige herumstehende Burschen. Sie können es nicht begreifen, dass jemand mit dem Velo reist, wenn er doch zu Hause tatsächlich auch ein Auto hätte. Die Straße führt kurvenreich und in stetigem Auf und Ab über einige Bäche an wenigen Häusern vorbei und wird schließlich so steil, dass ich absteige und ernsthaft an der Richtigkeit zweifle. Ich halte einen Kleinbus an, der mich  gerade überholen will: Doch, doch, hier sei es schon richtig, ich solle einfach ihm folgen. Und so trampe ich auf der miserablen Straße hinter dem vollen Kleinbus den Berg hinan. In den Steilstücken hält er immer wieder kurz an, bis ich aufgeschlossen habe; da und dort steigen Mitfahrer aus. Schließlich zweigt er auf einer Kuppe zu einem Haus ab, erklärt mir aber zuvor noch den weiteren Weg. Und schon geht es wieder steil ein Bachbett hinunter, das zudem durch Holzschlag blockiert ist. Die auf einer nächsten Anhöhe beginnende Asphaltstraße erweist sich auch wieder nur als gute Hofzufahrt, aber der richtige Weg geht wieder meerwärts. In einer engen Kurve kommt mir ein russischer Mountainbiker entgegen und erkundigt sich seinerseits nach dem Weg für Suchum; jetzt soll plötzlich ich der Ortskundige sein in dieser Wildnis! Nachdem er von meinem Ziel hört, entscheidet er sich aber doch eher, mich bis Novi Afon zu begleiten, wo er mit 3 Kollegen am Meer campiere. Auf allmählich wieder flacherem Weg erreichen wir schließlich die Hauptstraße, die von Suchum her eben zunächst in Richtung Berge wegführt und nicht der Küste folgt. Nach 30 km stelle ich bei Novi Afon auf Empfehlung meines Begleiters  das Fahrrad inklusive Gepäck auf der Polizeistation ein und mache mich zu Fuß zur Besichtigung auf. Das erst im 19 Jh. von Mönchen aus dem griechischen Stary Afon (Athos) erbaute Kloster zählt zu den Hauptattraktionen Abchasiens. Der gelbe Gebäudekomplex mit den ockerfarbigen Portalbereichen und den glänzenden Riesenkuppeln an Abhang der bewaldeten Berge zieht Heerscharen von (russischen) Touristen an. Den Zugang über den steilen Weg säumen denn auch unzählige Verkaufsstände mit orthodoxen Devotionalien, Honig, getrockneten Kräutern, Nüssen, Blechbildern,  Wein, .. Vom großen Vorplatz aus erhält man über Zypressen und Palmen auch schöne  Aussicht  über die Küste. Nach ausgedehnter Besichtigung geht es gemütlich der Küste entlang weiter. Aber nach Gudauta geht es wieder hügelig etwas ins Landesinnere.  Ein Energieriegel aus meinem Notproviant hilft über den Hungerast hinweg. Nach dem Pzifi, der hier aus der engen Schlucht in die kleine Küstenebene mit dem berühmten Ferienort Pitsunda mündet, geht es nochmals  an einigen düsteren Plattenbauten vorbei über einen Hügel. Mit einem als Denkmal aufgestellten Schützenpanzer mit abchasischen Wappen und Fahnen kündet sich mein Tagesziel Gagra an. Bei der Einfahrt dämmert es schon. Überall weisen kleine Tafeln vor den Häusern auf Ferienzimmer hin, aber ich stelle schnell fest, dass niemand an einem Einzelgast für nur 1 oder 2 Nächte interessiert ist. Lieber lässt man das Zimmer frei. Schließlich finde ich  doch eine gute Unterkunft (700 Rubel/Nacht) in einem Haus mit gedecktem Hof und Garten mit Bäumen. Der Hausherr serviert mir zum Empfang gleich gratis ein kleines Nachtessen inkl. Bier. Neben eigenem Wein verkauft er auch eigenen Cognac. Schade, dass eine solche Halbliterflasche in meinem Gepäck nach dem georgischen Wodka nicht auch noch Platz hat. Nach einem ersten Rundgang durch den Touristenlärm entlang der Uferstraße genieße ich zum Tagesschluss wieder die Ruhe des Gartens mit einem Baltika 8 (dunkles russ. Bier, kräftig).


Sonntag, 11. September                                     Gagra - Ritsa-See - Gagra  (Kleinbus)

am Ritsa-See
Es ist bedeckt bei 24 Grad, aber ich hoffe, dass ich am Ritsa-See oben auf 950 m.ü.M. nicht  im Nebel stecken werde. Für 450 Rubel erhalte ich einen Platz in einer Marschrutka mit sehr ausführlicher Information auf dem ganzen Weg. Schon beim Beginn der Fahrt durch das enge Pzifi-Tal hinauf bin ich froh, dass ich heute auf das Velo verzichtet habe. Unzählige Kleinbusse, Cars und PW’s haben offenbar das gleiche Ziel, und vor dem Blauen See am Eingang zum Ritsa-Naturreservat stauen sich die Fahrzeuge. Die Fahrt durch die teilweise sehr enge Schlucht  mit hohen Felswänden, an kleinen Wasserfällen vorbei in die weit hinauf mit Nadelwals bedeckten Berge hinauf ist sehr abwechslungsreich. Sie endet nach verschiedenen Zwischenhalten schließlich am oberen Ende des leicht gestauten Ritsa-Sees bei den Datschen von Stalin und Chruschtschow. Eine Führung durch die zwei mit einem Zwischentrakt verbundenen „Ferienhäuser“ lässt nach dem Staunen über das Ausmaß der Räume wegen der kalten Atmosphäre eher ein leichtes Frösteln zurück. Immerhin, die Aussicht von der gedeckten Veranda durch die Uferbäume auf den tiefblauen See, die Wälder und die Berge zeigen ein kleines Paradies. Beim kleinen Staudamm am unteren Ende des Sees ist es dank Verkaufsständen, Imbissbuden, Restaurants und lauter Musik mit dem Frieden wieder schnell vorbei. Nach  einer Weindegustation  und einem guten Gläschen Cha-Cha (= Grappa) sind wir um 17 Uhr wieder zurück in Gagra. Ein Abendbad im 25 Grad warmen Meer und ein Nachtessen im Freien mit Sicht auf die im Schwarzen Meer versinkende Sonne beschließt den erholsamen Sonntag. Das Schaschlik, die gefüllten Auberginen und dazu die Flasche Rotwein („Tschegen“ zu Ehren des abchasischen Schriftstellers Fasil Iskander und seinen skurrilen Einwohnern aus dem Bergdorf Tschegen) setzen dazu den passenden Schlusspunkt.

Abend in Gagra


Montag, 12. September                                       Gagra - Psou (Grenze) - Sochi               70 km
Mein Gastgeber hat mir für die Fahrt nach Suchum empfohlen dafür eine Marschrutka zu nehmen. Sie seien wesentlich schneller als die großen Linienbusse und meistens erst noch billiger. Um Viertel nach 7 Uhr stehe ich an der Hauptstraße vorn. Eine Frau mit Ziel Gudauta hilft mir das richtige Fahrzeug anzuhalten. Schon nach 45 Minuten Fahrt  steige ich auf dem Markt in Suchum aus und bin nach 20 Minuten Fußmarsch wieder beim Außenministerium. Schon von außen fällt mir auf, dass bei keinem der vielen Fenster Licht brennt. Im 2 Stock finde ich im dämmrigen Morgenlicht das Büro des konsularischen Dienstes, wo mir ein freundlicher Beamter mitteilt, dass er das Visum innert 5 Minuten machen könnte, aber leider gebe es  in der ganzen Umgebung  seit dem frühen Morgen keinen Strom. Er erklärt mir den Weg zur Bank, wo ich zunächst  den Gegenwert von 20$ in Rubel zu bezahlen habe und dann mit der Quittung bei ihm wieder das Visum abholen könne. Erfreulicherweise hat die 400 Meter entfernte Bank Strom, so dass ich nach Bezahlung von 601 Rubel hoffnungsvoll zum Ministeriumsgebäude zurückkehre. Leider immer noch kein Strom, also warten. Irgendwo Kaffeetrinken gehen ist so ja auch nicht möglich. Die Beamten scheinen den Stromausfall zu genießen, überall wird geplaudert und gelacht. Ein alter Mann sitzt mit mir im Korridor und erklärt mir, wie schwer heute das Leben sei, aber da könne man halt nichts machen, ...
Um 10 Uhr geht endlich das Licht an, und 10 Minuten später spaziere ich mit dem separaten Visum  wieder Richtung Markt. Eine Marschrutka bringt mich zum Markt und von hier zum Bahnhof, von wo heute fast alle Fahrzeuge starten. Kurz vor Mittag bin ich wieder in Gagra und mache mich zur heutigen Velo-Etappe bereit. Der Hausherr serviert mir noch ein kleines Mittagessen, drei ältere Gäste, von denen einer früher Radrennfahrer gewesen sei, wollen noch gemeinsame Fotos machen, und kurz nach 13 Uhr geht es in leichtem Nieselregen wieder auf die Straße.
Der Verkehr ist etwas stärker. Für viele Touristen gehen die Ferien langsam zu Ende, sie fahren zurück nach Russland. Nach 25 km der steilen Küste entlang folgt die Ebene mit dem Grenzfluss Psou. Statt auf der breiten Hauptstraße direkt zur Grenze wird der Verkehr auf einer Nebenstraße über offenes Feld  geführt. Nach einigen Sonnenstrahlen bricht ein Wolkenbruch los. Ich schiebe das Velo an den langen Autokolonnen vorbei, Pass und Visum griffbereit im Sack. Aber beim ersten Gebäude, das nach Zollposten aussieht, ist kein Beamter zu sehen. Und schon bin ich auf dem engen Fussgängersteg neben der Straße und gleich danach im russischen Zollgebäude. Den heutigen Ausflug nach Suchum hätte ich mir also sparen können - aber dann wäre womöglich doch ein abchasischer Grenzbeamter aufgetaucht, der mich ohne Visum nicht ausreisen lassen würde. Zwischen  Fußgängern, die riesige mit Waren vollgestopfte Taschen mitschleppen, fülle ich auf einer Sitzbank die üblichen Formulare aus und kann dann mit Ziehen und Stoßen mein Velo mit den Saccochen durch den engen Durchgang schieben. Ich bin wieder einmal in Russland angekommen.
Zum Glück hat der Regen nachgelassen, aber im stockenden  Verkehr  wird man dafür von den Lastwagen mit braunem Sprühregen geduscht. Bei Adler wird die Bauwut im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele von 2014 sichtbar: überall ragen Krane inmitten riesiger Baustellen in  den Himmel, der Verkehr wird kompliziert über halbfertige Straßen umgeleitet, bis ich  schließlich auf  einer Autobahnauffahrt lande und dafür eine etwas ruhigere Straße finde. Doch auch hier wird der Verkehr immer stockender, und immer häufiger steht einfach alles still. Ich schlängle mich zwischen und neben den Kolonnen langsam ins Stadtzentrum und erreiche um 18 Uhr endlich den Bahnhof. Hier kann ich mich bei den vielen mit einem Pappschild bewaffneten Frauen nach einer Unterkunft umsehen. Ich treffe die Wahl auf ein Zimmer in der Nähe für 1400 Rubel. Die Frau muss erst einen anderen Anbieter los werden, der ihr die „Beute“ streitig machen will, dann führt sie mich durch die vollgestopfte Unterführung hindurch, wo ich mit meinen Saccochen aufpassen muss, um nicht gleich alle Auslagen der vielen Händler herunter zu reißen. Auf der anderen Seite nimmt sie den Bus und beschreibt mir den Weg, wo sie dann am Straßenrand warten werde. Es ist ein Zimmer mit kleiner Küche und Dusche im Erdgeschoss eines kleinen Hauses. Aber offenbar wurde dies inzwischen schon an ein Paar mit einem Kleinkind vergeben. Die Vermieterin bietet mir  dafür für 1900 Rubel eine größere Wohnung mit Küche und Bad im Obergeschoss an. Da ich müde bin, stimme ich auch dem sofort zu. Nach der Veloreinigung im Hof und dem Duschen beginnt plötzlich mein Magen zu rebellieren, und nach mehrmaligen Brech- und Durchfall-Anfällen ist mir die Lust auf einen Restaurantbesuch gründlich vergangen. Aber irgendetwas muss ich essen, wenn ich morgen wieder aufs Velo will. So schleppe ich mich um halb zwölf schließlich zu einem permanent offenen Laden beim Bahnhof und kaufe Suppe und Schwarztee. Zum Essen muss ich mich richtig zwingen, schlucke Kohletabletten,  und den Rest der Nacht pendle ich zwischen Schlafzimmer und WC hin und her.

Die Hafenverwaltung Sotschi

                                                                                     > zurück zur Übersicht

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen